Schwer litt das Städtchen Geisingen unter den Schrecken des 30jährigen Krieges. Viel Ungemach glaubt man in jenen Jahren dem Bösen und den mit ihm im Bunde stehenden Hexen zuschreiben zu müssen. Auch in Geisingen flammten damals die Hexenfeuer, und beihnahe wäre auch die Geisinger Rosenjungfer ein Opfer der Volkswut geworden und auf den Scheiterhaufen gestorben. Von ihr erzählt die Sage:
Die jungfer Theresia Walserin war im Städtchen Geisingen zu Hause und das Kind armer Eltern. Der Schwedenkrieg nahm ihr schon früh Vater und Mutter. Man zählte das Jahr 1633, der Schultheiß Gaisslin amtierte in jenem Jahr als Schultheiß im Städtchen, und noch hatte Junker Ingolt seine Heimstatt in ihm. Jenes Jahr war ein schweres Jahr nicht nur für Geisingen, und in der Baar sangen die Kinder:
"D Schwede sind kumme
mit Pfüfe und Trumme,
hond d Buebe ufghängt
und Meidli vertränkt."
Die jungfer Theres verdiente ihr hartes Brot recht und schlecht als Kräuterjungfer. An einem Junimorgen ging sie wie schon oft zum oberem Tor des Städtchens hinaus und schlug den Weg über die Geisinger Berge zum Kloster Amtenhausen ein.
Im Friedhof dieses Frauenklosters stand zu jener Zeit ein wundersamer, großer, wilder Rosenstrauch auf dem Grab der seligen Beatrix. Einmal war der Strauch mit allen Wurzeln ausgerissen worden, weil er das ganze Grab überwuchert hatte.
Am anderen morgen blühte er auf seinem alten Platz aber schöner als je zuvor. Niemand wusste, wie er zurückgekommen war. Seither war der Rosenstrauch auf dem Grab der seligen Klosterfrau geblieben, die heilbringenden wilden Rosen des Strauches waren von den Leuten rundum sehr begehrt. Schon von Kind auf füllte die Geisinger Rosenjungfer zu jedem Krämermarkt im Städtchen und auch anderswo ihre Krätze oder wenigstens ihren Korb mit dem Wildenrosen, denn sie blühten ununterbrochen vom Frühjahr bis in den späten Herbst hinein. Sie ließen sich zu jeder Zeit gut verkaufen diese Rosen, und niemand war der armen Rosenjungfer böse, weil sie ihr Geschäft mit ihnen machte, war sie doch ein elternloses Kind mit einem lieben Wesen.
Auch an diesem Junitag suchte die Jungfer in den weiten Wäldern auf den Geisinger Bergen nach Kräutern, die für diesen und jenen Besten gut waren und gegen manches Weh halfen. Die Röselein vom Amtenhauser Klostergrab wollte sie zuletzt pflücken, denn sie sollten recht frisch auf den Markt kommen. Drüber wurde es Abend. Es nachtete schon, als sich die Jungfer auf den Heimweg machte. Plötzlich stand eine hohe Gestalt vor ihr. Sie konnte sie nicht erkennen, denn es war schon finster geworden. Weiß wurde sie Jungfer vor Schreck, und kein Fuß konnte sie mehr vor den anderen setzen.
Ihr braucht keine Angst zu haben Jungfer, ich will euch nichts Unrechtes antun. So sprach die Gestalt. Die Stimme hatte einen guten Klang und ließ hoffen, wenn die Rosenjungfer den fremden Einschlag in ihr auch nicht überhörte. Weil sie aber noch immer kein Wort über ihre Lippen bringen konnte, fuhr sie Stimme fort:
Ihr habt mir mit eurem schnellen Lauf den Schweiß auf die Stirne getrieben, Jungfer.
Die Zeiten sind unsicher Herr,und die Gegend ist es auch,nahm sich die Jungfer Theres nun noch ein Herz.
Das stimmt schon, war die Antwort und:
Wohin fürt euer Weg fragte der Fremde. Dort drunten ist Geisingen, gab die Rosenjungfer festen Bescheid.
Ich danke euch für die Auskunft, ließ die Stimme das Gespräch weiterlaufen.
Gleichzeitig spürte die Jungfer etwas Hartes in ihrer Hand. Sie merkte bald, daß es sich um ein schweres Geldstück handeln musste. Nehmt dieß als Dank für eure Auskunft und als Entgeld für den Schrecken und die Angst, die ihr meinetwegen ausgestanden habt, aber auch für ein Röslein, das euch bei eurem raschen Lauf aus dem Korb fiel, erklärte die Gestalt dazu. Die Jungfer hörte ein leises Lächeln hinter ihren Worten.
Wer seit ihr, Herr?, getraute sie sich daraufhin zu fragen. Ein schwedischer Offizier bin ich, der vom Wege abgekommen ist, erhielt sie zur Antwort.
Als die Rosenjungfer diese Worte vernahm, konnte sie nichts mehr zurückhalten. So schnell es ihr möglich war, lief sie davon, dem oberen Tor nach Geisingen zu.
Ganz außer Atem kam die Rosenjunfer Theres dort an, aber wie hätte es anders sein können, das Tor war verschlossen. Das Stadtgericht hatte angeordnet, daß nach Torschluß niemand mehr ins Städtchen eingelassen werden dürfe. Jede verdächtige Bewegung vor den Toren müssen unverzüglich gemeldet werden. Die Jungfer klopfte, und als der Torwächter barsch fragte, wer draußen sei, sagte sie ihren Namen. Nach längerem Hin und Her, Warum und Woher, ließ er sie schließlich durch einen engen Spalt ins Städtchen hineinschlüpfen.
Hast du auch kein Schwed im Korb Rosenjungfer? frug er halb im Spaß und hob den Deckel ihrer Krätze. Sieh zu, daß dich zu dieser späten Stunde niemand im Städtchen sieht, mahnte er, es könne unser beider Schaden sein.
Am anderen Morgen hatte die Rosenjungfer ihren Standtplatz wie immer auf den Geisinger Krämermärkten vor dem "Goldenen Löwen" nahe dem Obertor.
Sankt Beat!Kaufed zum Beatetag
Liit,schitzed echi vor Not und Plag!
So bot sie ihre Röslein und Kräutlein feil, aber der dauerden Schwedengefahr wegen hatten sich weniger Leute eingefunden als zu früheren Märkten. Auch die Rosenjungfer fand an diesem Markttag weniger Käufer für die Röslein als an anderen Tagen.
Sangt Beat bringt großi Gnad!
Kaufed wildi Resili!
Kaum hatte die Jungfer Therese die letzten Worte ihres Sprüchleins aufgerufen, als ein schwerer Stein ihren Rosenkorb umwarf und die Röslein auf dem Boden zerstreut wurden. Zwei schwedische Soldaten standen auf der Stadtmauer und lachten lauthals. Ein empörter Aufschrei drang aus der Menge, und ein Steinhagel verscheuchte die tollkühnen Burschen augenblicklich.
Ein altes verhutzeltes Weiblein mit giftigen Blick fuhr auf die Rosenjugfer los:
Ihr haltet es mit den Schweden Rosenjungfer! Euer Ruf sollte ihnen eine günstige Stunde verraten.
Obwohl das Weiblein nicht aus dem Städtchen stammte, wirkte ihr Giftspritzer auf der Stelle. Die Rosenjugfer wurde in das Rathaus gezerrt. Alle ihre Unschuldsbeteuerung fanden kein Gehör, gingen in Gejohle unter.
Sieben schwere Tage lang und sieben schlaflose Nächte hindurch zitterte und hoffte die Jungfer in ihrem finsteren Verlies im Stadtgefängnis. Unterdessen gingen im Städtchen ein böses Geschwätz um, versuchte sich im jedem Winkel einzunisten, an jedem Ohr Gehör zu finden. Das Villinger Malefizgericht haben zwei Frauen zu Tode gebracht und verbrannt. Sie seien mit den Schweden im Bunde gewesen, und der böse habe dabei seine Hände im Spiele gehabt. So Wisperte das Geschwätz. Der Torwächter des oberen Tores aber erzählte jedem, der es hören wollte, daß er die Rosenjungfer in der Nacht vor dem Markttage durch das geschlossene Tor kommen sehen habe. Er habe sie nicht angezeigt, weil er gefürchtet habe, daß man ihm keinen Glauben und ihm seine Anzeige nichts als Spott und Hohn einbringen werde. Sie sein zweifellos eine Hexe.
Nicht mehr Rosenjungfer wurde die unglückliche Theresia Walserin im Städtchen gennant, sondern Rosenhexe. Als das Malefizgericht zusammentrate, war die Jugnfer schnell verurteilt. Zum Tod auf dem Scheiterhaufen sprach sie das Gericht. Das einzige Beweisstück, das gegen sie vorgebracht werden konnte, war jenes Geldstück, das sie vom dem schwedischen Offizier auf dem Geisinger Bergen erhalten hatte, und das in ihrer Kammer gefunden worden war. Alle ihre Bitten um Gnade oder wenigstens ein milderes Urteil stießen auf taube Ohren. Die Hinrichtung wurde auf Johanni festgesezt. Die gesamte Einwohnerschaft strömte zum Tor hinaus, als der Armsünderkarren mit der Rosenjungfer im Büßerhemd und mit Schandkerze in der Hand zum Hochgericht holperte. Die Buben aus dem Städtchen umsprangen und foppten:
Rosehex,hopp,hopp hopp,hoop
sitzist uf em Bock,hopp,hopp!
Die Schweden hätten an diesem Morgen leichtes Spiel gehabt, wenn sie auf das Städtchen abgesehen gehabt hätten. Neben dem Galgen war der Holzstoß aufgerichtet. Grob zerrte der Henker die Todgeweihte vom Karren, zog sie auf den Scheiterhaufen, band sie fest und entzündete die Pechfackel. Leise sprach der Kaplan des Städtchens der Unglücklichen letzten Trost zu. Niemand hätte in diesem Augenblick auch nur ein Heller für das Leben der Rosenjungfer gegeben. Niemand wußte, wie es geschehen war, als plötzlich, wie aus dem Boden gestampft, ein Trupp Schweden den Richtplatz umstellt hatte. Die schaurige Bußlitanei und das Kyrieeleis verstummten jäh. Nicht nur die Rosenjungfer bangte in diesem Augenblick um ihr Leben.
Ihr wollt unschuldiges Blut richten. Wer gibt euch das Recht dazu?
So donnerte ein riesiger Offizier, der Anführer des Trupps. Als ihm keine Antwort zuteil wurde, drohte er:
"Wenn ihr die Rosenjungfer nicht auf der Stelle freigebt, könnt ihr eure Knochen heute Abend in der Stadtasche suchen!"
Wohl oder übel mussten die Gerichtsherren nachgeben, konnten aber erreichen daß die gewaltsam gerettete Jungfer im Frauenkloster Amtenhausen untergebracht wurde und kein Fuß mehr in das Städtchen setzen durfte. Nach einem herrischen Wink des Offizers (er hatte ein Röslein an seinem Reiterwams stecken)band der Henker die Jungfer los. Ihrer Sinne nicht mehr mächtig, sank sie ihrem Retter in die Arme. In wildem Trab, daß die Hufe der Pferde auf dem Steinigen Weg Funken schlugen, stob der Trupp mit der Rosenjungfer davon.
Dort reitet die Rosenhexe mit ihrem Herzbuben, keifte das Weiblein, das sie Jungfer ins Unglück gebracht hatte, hinterher.
Nach ihrer Ankunft im Frauenkloster hinter den Geisinger Bergen tat sie Jungfer Theres anfänglich Magddienste. Ihr frommer Sinn und ihre flinken Hände verhalfen ihr aber schon bald dazu, daß die unter dem Namen Lidwina in den Konvent des Klosters aufgenommen wurde.
Während des letzten großen Schwedensturmes, als alle Nonnen aus dem Tal flohen, blieb die Klosterfrau Lidwina allein zurück und pflegte die Kranken, die im Kloster Aufnahme und Hilfe gefunden hatten. Auch in jenem Jahr blühten die wundersamen Rosen auf dem Grabe der seligen Beatrix unter der vorsorglichen Hut Lidwinas bis spät in den Herbst hinein. Die Schweden fanden auch dieses Mal den Weg in das stille Tal und in das Kloster, raubten, plünderten und modeten. Vor einem martialisch aussehenden Schweden, der sie verfolgte, floh die Klosterfrau Lidwina in den nahen Wald. Wie ein geheztes Stück Wild suchte sie sich Unterschlupf, konnte ihn aber nicht finden. Als der Schwede die Hand nach ihr ausstreckte, sprang sie in der Not über einen Felsensprung hinab und fand den Tod.
Seither heißt der Fels "Nonnensprung".
Unweit des Nonnensprunges, wo heute ein abschauliches Unkraut wächst, fand man später Lidwians Verfolger tod auf. Niemand konnte sagen, wie er umkam oder wer ihn umbrachte. Aber an ihm erfühlte sich der Fluch jener Klosterfrau, der sagt, daß jeder, der frevelhaft seine Hand nach einer Klosterfrau ausstreckte, für die Ewigkeit verflucht sein solle.
Quelle: von August Vetter
Herausgeben: von der Stadt Geisingen
Aus dem Buch: Eine Stadtgründung der Edelfreien von Wartemberg